STATISTIKEN | Peter Fahlbusch

Seit Jahren führe ich Buch über alle von mir seit 2001 geführten Abschiebungshaftmandate. Ungefähr alle 3 Monate veröffentliche ich meine Zahlen (s.u.). Überraschenderweise haben „offizielle“ Stellen -angeblich- hierzu keine Zahlen, obschon doch jeder städtische Straßenbaum am Wegesrand gezählt wird etc. (vgl. zB https://www.nuernberg.de/imperia/md/agenda21/dokumente/projektdokumentation_2019_i.pdf, Platz 1 für Karlsruhe mit 4,3 glücklichen Einwohnern pro Baum, während Berlin trotz 431.056 Bäumen knapp am Edelmetall vorbeigeschrammt und auf Platz 4 gelandet ist, da sich dort ein Baum um 8,5 Menschen kümmern muss).

Dass die von mir ermittelten Zahlen zur rechtsstaatswidrigen Inhaftierungspraxis seit Beginn meiner Erhebung fast identisch sind (immer rund 50 % der Mandant:innen zu Unrecht und zwar im Durchschnitt immer knapp 4 Wochen rechtswidrig in Haft) sage ich schon seit Jahren. Täglich grüßt hier das Murmeltier.

Insgesamt ist der Befund ein Armutszeugnis. Ein Armutszeugnis für alle am Verfahren Beteiligten. Art. 104 GG, Kronjuwel unserer Verfassung, gilt für manche Menschen nicht. Und das Ganze kümmert kaum jemanden, was mich noch nachdenklicher stimmt.

Nicht alles, aber vieles würde besser, wenn die Gefangenen vom Tag ihrer Festnahme einen Anwalt à la Pflichtverteidigung im Strafverfahren erhielten. Insofern hier noch ein Hinweis auf einen lesenswerten Aufsatz von Richterin am BGH Schmidt-Räntsch (Asylmagazin 2020, Heft 9, 292ff.). Auf S. 298, vorletzter Satz weist Schmidt-Räntsch wörtlich darauf hin, dass die gegenwärtige Praxis (=Inhaftierung von anwaltlich nicht vertretenen Menschen) „eines Rechtsstaats nicht würdig ist“ und dringend geändert werden sollte.

Die einzige Konstante im Leben ist die Veränderung, heißt es. Tatsächlich hat der Gesetzgeber jetzt – nach langem Drängen verschiedenster gesellschaftlicher Akteure – mit dem sog. „Rückführungsverbesserungsgesetz" (welch Euphemismus!) in § 62d AufenthG, der am 27.2.2024 in Kraft getreten ist, eine verpflichtende Beiordnung von Anwält:innen für von Abschiebungshaft Betroffene eingeführt. Zur Begründung führt der Gesetzgeber zutreffend aus, dass Betroffene die Komplexität der Materie schlicht nicht überblicken!

Jahrzehntelang hat die Abschiebungshaftindustrie verlässlich rechtswidrige Freiheitsentziehungen produziert. Die Anwaltschaft ist nun aufgerufen, hier engagiert und kritisch die Verfahren zu begleiten.

 

Abschiebungshaft, Gruselstatistik und Pflichtanwalt - und ein Hinweis auf die Deutschlandtour 24

Seit dem 27.2.2024 ist das sog. Rückführungsverbesserungsgesetz in Kraft (vulgo Gute-Rückkehr-Gesetz oder Hau-ab-Gesetz III). Ein Gesetz voller Verschärfungen und Restriktionen. Der Name des Gesetzes, reiner Euphemismus

Aber - immerhin: Es gibt tatsächlich eine (einzige) Verbesserung und zwar in § 62d AufenthG, wonach Betroffenen, die bislang noch nicht anwaltlich vertreten werden, im Abschiebungshaftverfahren ein Pflichtanwalt beizuordnen ist und zwar unabhängig von Vkh und Erfolgsaussichten etc. Der Gesetzgeber (man schaue in die Begründung) hat erkannt, dass Abschiebungshaftverfahren doch einigermaßen schwierig zu sein scheinen und Betroffene nicht in der Lage sind, sich hier hinreichend zu „verteidigen".

 

Aus Anlass des „Tags des Pflichtanwalts" hier meine neuesten Zahlen zur rechtsstaatswidrigen Anordnungspraxis von Abschiebungshaft in Deutschland (Stand 27.2.2024, Tag des Inkrafttretens des Gute-Rückkehr-Gesetzes):

  • Seit 2001 habe ich bundesweit 2.507 Menschen in Abschiebungshaftverfahren vertreten (in rund 23 Jahren etwa alle 3 – 4 Tage ein neues Mandat). 
  • 1.301 dieser Menschen (dh 51,9 %) wurden nach den hier vorliegenden rechtskräftigen Entscheidungen rechtswidrig inhaftiert (manche "nur" einen Tag, andere monatelang). 
  • Zusammengezählt kommen auf die 1.301 Gefangenen 33.471 rechtswidrige Hafttage (etwas plastischer: Das sind 91 Jahre rechtswidrige Haft!).Im Durchschnitt befand sich jede/r Mandant/in genau 25,7 Tage zu Unrecht in Haft. 
  • Die Anwaltschaft ist aufgerufen, sich um diese weiterhin skandalöse Haftpraxis zu kümmern. § 62d AufenthG gibt ihr jetzt alle Möglichkeiten.

Und damit der gerade das Licht der Welt erblickt habende Pflichtanwalt ein wenig rumkommt haben der Kollege Rolf Stahmann, Berlin und ich – organisiert vom Deutschen Anwaltverein – entschieden, ab dem 20.03.2024 für sechs Wochen durch ganz Deutschland zu touren und in 23 Städten zum Haftrecht zu referieren. Weitere Hinweise zu den einzelnen Stationen folgen demnächst.

 

Neue Statistik - 90 Jahre rechtswidrige Abschiebungshaft - und jetzt das: "Rückführungsoffensive meets Rückführungsverbesserung

Vor 2 Jahren hatte der „Mehr Fortschritt wagen“ Koalitionsvertrag von rot-gelb-grün es bereits angekündigt: Man werde (Achtung, Originalwortlaut!) „eine Rückführungsoffensive starten“, hieß es dort auf S. 112.

Heute nun hat die Bundesregierung mit dem „Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Rückführung“ (wer denkt sich eigentlich solche Namen aus?) verbal zwar ab-, inhaltlich aber massiv aufgerüstet (um im Militärjargon zu bleiben). Verkürzt gesagt lautet die Formel des Rückführungsverbesserungsgesetzes in etwa wie folgt: Mehr Haft + mehr Durchsuchungen = mehr Abschiebungen.

Aus aktuellem Anlass hier meine neuesten Zahlen zur rechtsstaatswidrigen Anordnungspraxis von Abschiebungshaft in Deutschland (Stand 25.10.2023):

  • Seit 2001 habe ich bundesweit 2.458 Menschen in Abschiebungshaftverfahren vertreten (in rund 22 Jahren etwa alle 3 – 4 Tage ein neues Mandat).
  • 1.283 dieser Menschen (dh 52,2 %) wurden nach den hier vorliegenden rechtskräftigen Entscheidungen rechtswidrig inhaftiert (manche "nur" einen Tag, andere monatelang).
  • Zusammengezählt kommen auf die 1.283 Gefangenen 33.116 rechtswidrige Hafttage (etwas plastischer: Das sind 90 Jahre rechtswidrige Haft!).
  • Im Durchschnitt befand sich jede/r Mandant/in genau 25,8 Tage zu Unrecht in Haft.

Ob die Bundesregierung ernsthaft glaubt, dass die im „Gute-Rückführung-Gesetz“ beschlossenen Maßnahmen „zur Bewältigung der hohen Zuzugszahlen“ in spürbarer Form beizutragen geeignet sind, kann sie nur selbst beantworten. Eins aber – das lehrt die jahrelange Vertretung von Betroffenen- ist sicher: Mehr Haft wird zu mehr rechtswidriger Haft führen. Da die Bundesregierung im Entwurf zum „Gute-Rückführung-Gesetz“ erneut keinen Gedanken daran verschwendet hat, von Abschiebungshaft Betroffenen einen Pflichtanwalt zur Seite zu stellen, scheint sie diese Sorge nicht umzutreiben – oder aber das Ganze (als Kollateralschaden?) in Kauf zu nehmen.

So sieht's aus,
meine aktuelle Haftstatistik, Stand 15.07.2023

  • Seit 2001 habe ich bundesweit 2.416 Menschen in Abschiebungshaftverfahren vertreten (in rund 22 Jahren etwa alle 3 – 4 Tage ein neues Mandat).
  • 1.252 dieser Menschen (dh 51,8 %) wurden nach den hier vorliegenden rechtskräftigen Entscheidungen rechtswidrig inhaftiert (manche "nur" einen Tag, andere monatelang).
  • Zusammengezählt kommen auf die 1.252 Gefangenen 32.362 rechtswidrige Hafttage, was gut 88 Jahre rechtswidrige Haft macht.
  • Im Durchschnitt befand sich jede/r Mandant/in genau 25,8 Tage zu Unrecht in Haft.

Es ist und bleibt ein Skandal.

Wie in der Klimapolitik muss sich auch in der Haftanordnungspraxis schleunigst was ändern. Gut wäre zB die Einrichtung eines Pflichtanwalts, hatte ich -erfolglos-  ja auch schon ab und an drauf hingewiesen.

 

Hier meine aktuelle Haftstatistik, Stand 02.03.2023.

  • Seit 2001 habe ich bundesweit 2.365 Menschen in Abschiebungshaftverfahren vertreten (in rund 22 Jahren etwa alle 3 – 4 Tage ein neues Mandat).
  • 1.243 dieser Menschen (dh 52,6 %) wurden nach den hier vorliegenden rechtskräftigen Entscheidungen rechtswidrig inhaftiert (manche "nur" einen Tag, andere monatelang).
  • Zusammengezählt kommen auf die 1.243 Gefangenen 32.047 rechtswidrige Hafttage, was knapp 88 Jahre rechtswidrige Haft macht.
  • Im Durchschnitt befand sich jede/r Mandant/in genau 25,8 Tage zu Unrecht in Haft.

Hallo Justiz, hallo Exekutive, hallo Zivilgesellschaft – bedrückt euch das nicht?

 

Abschiebungshaft: Statistik der von mir geführten Verfahren, Stand 27.12.2022

  • Seit 2001 habe ich bundesweit 2.333 Menschenin Abschiebungshaftverfahren vertreten.
  • 1.232 dieser Menschen (dh 52,8 %) wurden nach den hier vorliegenden rechtskräftigen Entscheidungen rechtswidrig inhaftiert (manche "nur" einen Tag, andere monatelang).
  • Zusammengezählt kommen auf die 1.232 Gefangenen 31.786 rechtswidrige Hafttage, das sind gut 87 Jahre rechtswidrige Haft.
  • Im Durchschnitt befand sich jede/r Mandant/in genau: 25,8 Tage zu Unrecht in Haft.

Im Vergleich zu meinen Zahlen vom September 2022 kann man feststellen, dass sich das Verhältnis „rechtmäßige-unrechtmäßige Haft“ ein wenig Richtung „mehr rechtswidrig Inhaftierte“ verschoben hat (52,5 % >>> 52,8 %), dafür aber die durchschnittliche Dauer der rechtswidrigen Haft pro Gefangenem ein wenig zurückgegangen ist (26,1 Tage >>> 25,8 Tage). Man kann also sagen, es werden mehr Menschen -kürzer- rechtswidrig eingesperrt, um sie von A nach B zu bringen. Mag jede und jeder für sich selbst entscheiden, ob dies eine gute oder schlechte Nachricht ist. Ich bin weiterhin der Auffassung, dass all dies mit Rechtsstaat etc. so mal überhaupt gar nichts zu tun hat. Die Zahlen selbst überraschen mich von Quartal zu Quartal immer weniger. Was mich überrascht ist die wirklich stupende Art und Weise, wie die hier Verantwortlichen von „ganz unten“ bis hoch hinaus zu unserer Ampelregierung mit diesem Thema umgehen. Das Ganze ist nur noch peinlich und beschämend.

 

Abschiebungshaft: Statistik der von mir geführten Verfahren, Stand 12.9.2022

  • Seit 2001 habe ich bundesweit 2.282 Menschenin Abschiebungshaftverfahren vertreten.
  • 1.197 dieser Menschen (dh 52,5 %) wurden nach den hier vorliegenden rechtskräftigen Entscheidungen rechtswidrig inhaftiert (manche "nur" einen Tag, andere monatelang).
  • Zusammengezählt kommen auf die 1.197 Gefangenen 31.235 rechtswidrige Hafttage, das sind gut 85 Jahre rechtswidrige Haft.
  • Im Durchschnitt befand sich jede/r Mandant/in knapp 4 Wochen (genau: 26,1 Tage) zu Unrecht in Haft.

Rund 100 Verfahren laufen z.Zt. noch.

Wann entschließt sich der Gesetzgeber, den Menschen einen Pflichtanwalt zur Seite zu stellen?

 

Abschiebungshaft: Statistik der von mir geführten Verfahren, Stand 20.6.2022

  • Seit 2001 habe ich bundesweit 2.247 Menschen in Abschiebungshaftverfahren vertreten.
  • 1.178 dieser Menschen (dh 52,4 %) wurden nach den hier vorliegenden rechtskräftigen Entscheidungen rechtswidrig inhaftiert (manche "nur" einen Tag, andere monatelang).
  • Zusammengezählt kommen auf die 1.178 Gefangenen 30.760 rechtswidrige Hafttage, das sind gut 84 Jahre rechtswidrige Haft.
  • Im Durchschnitt befand sich jede/r Mandant/in knapp 4 Wochen (genau: 26,1 Tage) zu Unrecht in Haft.

 

Abschiebungshaft: Statistik der von mir geführten Verfahren, Stand 8.3.2022

  • Seit 2001 habe ich bundesweit 2.215 Menschen in Abschiebungshaftverfahren vertreten.
  • 1.164 dieser Menschen (dh 52,6 %) wurden nach den hier vorliegenden rechtskräftigen Entscheidungen rechtswidrig inhaftiert (manche "nur" einen Tag, andere monatelang).
  • Zusammengezählt kommen auf die 1.164 Gefangenen 30.507 rechtswidrige Hafttage, das sind gut 83 Jahre rechtswidrige Haft.
  • Im Durchschnitt befand sich jede/r Mandant/in knapp 4 Wochen (genau: 26,2 Tage) zu Unrecht in Haft.

Ceterum censeo: Nicht alles, aber vieles würde besser, wenn die Gefangenen vom Tag der Festnahme einen Anwalt (à la Pflichtverteidigung) bekämen.

An die AmpelkoalitionärInnen: Die gegenwärtige Praxis ist eines Rechtsstaats unwürdig und muss dringend geändert werden. So auch Richterin am BGH Schmidt-Räntsch (Asylmagazin 9/2020, S. 292, 298) https://www.asyl.net/fileadmin/user_upload/beitraege_asylmagazin/Beitraege_AM_2020/AM20_9_beitrag_schmidt-raentsch_web.pdf

 

Abschiebungshaft: Statistik der von mir geführten Verfahren, Stand, 1.11.2021

  • Seit 2001 habe ich bundesweit 2.167 Menschen in Abschiebungshaftverfahren vertreten.
  • 1.115 dieser Menschen (dh 51,5 %) wurden nach den hier vorliegenden rechtskräftigen Entscheidungen rechtswidrig inhaftiert (manche "nur" einen Tag, andere monatelang).
  • Zusammengezählt kommen auf die 1.115 Gefangenen 29.324 rechtswidrige Hafttage, das sind gut 80 Jahre rechtswidrige Haft.
  • Im Durchschnitt befand sich jede/r Mandant/in knapp 4 Wochen (genau: 26,3 Tage) zu Unrecht in Haft.

 

Abschiebungshaft: Statistik der von mir geführten Verfahren, Stand 6.8.2021

  • Seit 2001 habe ich bundesweit 2.141 Menschen in Abschiebungshaftverfahren vertreten (dh in etwa alle 3-4 Tage ein neues Mandat).
  • 1.089 dieser Menschen (dh 50,9 %) wurden nach den hier vorliegenden rechtskräftigen Entscheidungen rechtswidrig inhaftiert (manche "nur" einen Tag, andere wochen- oder gar monatelang).
  • Zusammengezählt kommen auf die 1.089 Gefangenen 28.670 rechtswidrige Hafttage, das sind gut 78 Jahre rechtswidrige Inhaftierungen (dh länger, als der 2. Weltkrieg zurückliegt)
  • Im Durchschnitt befand sich jede/r Mandant/in knapp 4 Wochen (genau: 26,3 Tage) zu Unrecht in Haft.

 

Abschiebungshaft: Statistik der von mir geführten Verfahren, Stand 22.2.2021

  • Seit 2001 habe ich bundesweit 2.074 Menschenin Abschiebungshaftverfahren vertreten.
  • 1.023 dieser Menschen (dh 49,6 %) wurden nach den hier vorliegenden rechtskräftigen Entscheidungen rechtswidrig inhaftiert (manche "nur" einen Tag, andere monatelang).
  • Zusammengezählt kommen auf die 1.023 Gefangenen siebenundzwanzigtausendeinhunderteinundneunzig (in Zahlen 27.191) rechtswidrige Hafttage, das sind knapp 75 Jahre rechtswidrige Inhaftierungen.
  • Im Durchschnitt befand sich jede/r Mandant/in knapp 4 Wochen (genau: 26,6 Tage) zu Unrecht in Haft.